Diesmal war alles anders auf der roten Bank. Er saß schon da – ruhig,
dennoch wusste ich, er hatte auf mich gewartet. Seine kleinen humorvollen
Äuglein blitzten und blinkten wie immer verschmitzt. Die Köpersprache war
zugewandt, die Aura positiv und violett diesmal, leicht orange eingefärbt,
die Schultern zu mir gedreht, so dass seine Nase geradewegs mit leicht
geneigtem Kopf in meine Richtung zeigte. Wie immer begann er ohne Vorspiel
und kam direkt zur Sache. Höflichkeiten und Smalltalk waren nicht unbedingt
sein Ding. “ Ich bin dem reinen Bewusstsein begegnet“, sagte er mit
klirrendem Tremolo in der Stimme. Ich war noch nicht ganz angekommen und
noch etwas zum Scherzen aufgelegt: „Schwerdonnerstag halt im Rheinland. Du
bist dir also selbst begegnet?“ Erschreckt entgegnete er: „So groß ist mein
Narzissmus auch wieder nicht.“ Ich entschuldigte mich und fragte nach,
indem ich schwieg und offenen Herzens wartete. Kurz – dann legte er los:
„Ich bin ihr begegnet, ja, das Bewusstsein war diesmal in einer Frau. Das
letzte wohl in Leonardo da Vinci oder in irgendeinem unbekannten Indigenen
oder Harz-IV-Empfänger oder, oder, oder – egal, ich wusste es sofort: das
reine Bewusstsein. Alles, was sie sagte, tat, weckte in mir – ja, was war
es eigentlich? Bewusstsein? Die edlen Anteile, Licht, Glück, den
unbedingten Wunsch, sie wiederzusehen? Mit ihr was anzufangen? Aber was?
War ich gut genug für sie? Ich warf ein, immer noch spöttisch gelaunt:
„Wie? Du hast Selbstzweifel?“ Er reagierte nicht und fuhr fort: „Alle meine
Pläne, die ich verworfen hatte, weil nicht groß genug, nicht wichtig genug,
nicht langfristig genug, tauchten mit einem Mal wieder auf. Mir war klar –
es war eine Projektion und natürlich war da ein erotischer Beigeschmack,
ein erfüllender erotischer Beigeschmack, kein zehrender, sondern ein sehr
nährender.“ Ich warf ein und schämte mich schon in dem Moment, wo ich es
aussprach: „Wie? Du hast erotische Gefühle?“ Er nahm es zur Kenntnis und
antwortete kurz mit anderer Stimme: „Ja, ist besser Eros als Thanatos.“
Dann fuhr er fort und berichtete von seiner Begegnung mit dem reinen
Bewusstsein. Ich tat es in die Kategorie Projektion und hörte geduldig,
wenn auch wie immer, offenen Herzens zu. Er spürte aber diesmal, dass mein
Abwehrmechanismus gegen das ganz Große, gegen das Übergroße, gegen das
Heilige, präsent war. Dennoch berichtete er weiter von dieser Begegnung. Es
schien die reine Schönheit, der reine Geist, die pure Kommunikation, die
vollendete Kontaktfähigkeit, natürlich auch die große Liebe – von ihr
ausgehend – und die gesamte Zukunft, nicht nur der Menschheit, sondern
allem Lebens auf diesem Planeten – Gott sei Dank sprach er nicht vom
Universum – zu beinhalten. Ich war platt. Und noch immer karnevalistisch
drauf: „Wie hieß denn die Dame? Hast du ihre Telefonnummer? So ein
umfassendes Erlebnis, sozusagen eine Verschmelzung mit dem reinen
Bewusstsein wünsche ich mir auch.“ Da lachte er – und gar nicht
karnevalesque, sondern zutiefst beglückt: „Offenkundig hast du mich
verstanden“, meinte er. „Ja, die Verschmelzung mit dem reinen Bewusstsein,
dass ist unser Traum. Entwickle dein eigenes Bewusstsein, dann gebe ich dir
vielleicht die Telefonnummer.“ Weg war er. Und ich saß wieder da, wie immer
bedröppelt, doch diesmal auch zu großen Teilen beglückt. „Ah ja“, stöhnte
ich.